Fiktive Betrachtungen zur Bundestagswahl 2017

Das Wahlsystem der BRD dürfte sich im weltweiten Vergleich sowohl in verfassungsrechtlicher als auch in methodischer Hinsicht auf höchstem Niveau bewegen. Wenn also im Folgenden alternative Interpretationen vorgestellt werden, so ist dies nicht als Kritik zu verstehen, sondern als ein Art „Was-wäre-wenn-Szenario“. Wie könnte man noch über bestimmte Sachverhalte nachdenken, wenn man versuchte, die bisherigen Überlegungen zu Wählern, Nichtwählern etc. mit tatsächlichen Wahlergebnissen in Beziehung zu setzen?

Bundestagswahl 2017

Wahlberechtigte, Wähler und Nicht-/Falschwähler bei der Bundestagswahl 2017
Wahlberechtigte und Wähler der BT-Wahl 2017

Nach Angabe des Bundeswahlleiters gab es bei der Bundestagswahl 2017 61.688.485 wahlberechtigte Bürger. 76,151 % (offizielle Wahlbeteiligung: 76,2 %) der Wahlberechtigten nahmen an der Wahl teil und gaben ihre Stimme ab. Von den abgegebenen (Zweit-)Stimmen waren 0,981 % ungültig, d.h., 0,747 % der Wahlberechtigten haben eine ungültige (Zweit-)Stimme abgegeben. (Hier und im Folgenden sollen nur die für die Sitzverteilung relevanten Zweitstimmen berücksichtigt werden). Im Umkehrschluss bedeutet dies, 75,404 % der Wahlberechtigten haben eine gültige Stimme abgegeben, 24,596 % der Wahlberechtigten sind der Gruppe der Nicht- oder Falschwähler zuzurechnen.

Aus den Angaben dieser 75,404 % der Wahlberechtigten werden nun die relativen Anteile der unterschiedlichen Parteien und in der Folge die Anzahl ihrer Sitze im Bundestag berechnet. 2017 fielen beispielsweise 26,8 % der gültigen Zweitstimmen auf die Partei „CDU“ (Diese Partei soll im Folgenden als Beispiel dienen; die zugehörigen Aussagen betreffen jedoch alle Parteien gleichermaßen). Parteien mit weniger als 5 % Zustimmung pro Partei (insgesamt 5 % Stimmanteil) werden nicht berücksichtigt und fallen aus der weiteren Berechnung heraus. Der relative Anteil der Partei „CDU“ erhöht sich nun auf 28,2 %. 28,2 % von 709 im Bundestag verfügbaren Sitzen ergeben rechnerisch 199,983 – also rund 200 – Sitze, die nun der Partei „CDU“ zugeschlagen werden. (Die Wahlstatistik verwendet hier sehr elaborierte Rundungsalgorithmen, die bei den weiteren, eigenen Berechnungen nur näherungsweise nachvollzogen werden.)

Wahlergebnis der Bundestagswahl 2017
Wahlergebnis der BT-Wahl 2017

Der Bundestag 2017 setzt sich also aus den Stimmen von rund 75,4 % aller Wahlberechtigten zusammen, die Stimmen von 24,6 % blieben unberücksichtigt. Das ist zunächst kein Grund zur Besorgnis. Man könnte plausibel argumentieren, dass jedem Wahlberechtigten hinreichende Möglichkeiten zur Stimmabgabe geboten wurden. Wenn 24,6 % der Wahlberechtigten davon keinen Gebrauch machen oder sich nicht ausreichend über der korrekte Wahlprozedere informieren, dann ist dies bedauerlich, jedoch kein legitimer Grund, das Wahlergebnis insgesamt infrage zu stellen.

Bundestagswahl 2017 – Ergebnisse mit Nicht-und Falschwählern

Allerdings: Können die 24,6 % Nicht- und Falschwähler tatsächlich so einfach ignoriert werden? Angenommen, sie wären deshalb nicht zur Wahl gegangen bzw. hätten einen ungültigen Stimmzettel abgegeben, weil sie damit einen politischen Willen – nämlich die Ablehnung der bestehenden Parteien – zum Ausdruck bringen wollten, dann könnte man sie als eine Art von „Residualpartei“ betrachten, gewissermaßen die Partei der Kategorie „Sonstige“, die in sozialwissenschaftlichen Umfragen durchaus üblich ist.

So unwahrscheinlich diese extreme Interpretation zweifellos ist, prinzipiell ausschließen kann man sie zunächst nicht (a posteriori könnte man natürlich entsprechende Nachbefragungen zu den Ursachen der Nichtwahl etc. durchführen). Daher soll zunächst aufgezeigt werden, wie sich diese Interpretation auswirken würde, d.h.: Wie würde das Wahlergebnis aussehen, wenn man die Nicht- und Falschwähler als eigenständige Partei „NW/FW“ in die Wahlergebnisse einfließen ließe?

Wahlergebnis der Bundestagswahl 2017. Nicht- und Falschwähler werden hier wie eine eigene Partei behandelt und das Wahlergebnis entsprechend korrigiert
Wahlergebnis der BT-Wahl 2017, korrigiert um Nicht- bzw. Falschwähler

Sie ginge natürlich mit 24,6 % Wählerzustimmung in das Wahlergebnis ein und käme nach Abzug aller Parteien unterhalb der 5%-Hürde als stärkste Partei auf 25,6 % bzw. 181 Sitze. Da dadurch von den ursprünglich 709 Gesamtsitzen nur noch 528 Sitze übrig blieben, verringerten sich die Sitze der restlichen Parteien entsprechend. Die Partei „CDU“ hätte dann bei 20,2 % aller Wählerstimmen nur noch 149 Sitze.

Man kann also für die oben erwähnte Beispielpartei sage: Ausdrücklich für die „CDU“ gestimmt haben nur 20,2 % der Wahlberechtigten. Der Aufschlag auf 26,8 % bzw. 51 Sitze ist mithin nicht gänzlich unspekulativ:

  1. Unter der Annahme, dass sich die Nicht-/Falschwähler ausschließlich aus Personen der Gruppen 1 oder 2 zusammensetzen – also Personen, die nicht wählen können oder wollen – ist es plausibel, den Nichtwähleranteil zu vernachlässigen, wie dies derzeit geschieht.

  2. Unterstellt man jedoch, dass die Nichtwähler der Gruppe 3 (3a oder 3b) entstammen, so ist dieses Vorgehen kritischer zu sehen. Die Verweigerung der Stimmabgabe erfolgt hier mit politischer Intention (nämlich keiner der Parteien zuzustimmen bzw. diesen Parteien ein stimmliches Gegengewicht entgegen zu halten), diese Intention wird jedoch bei der Ergebnisbestimmung ignoriert.

Bundestagswahl 2017 – mit fiktiver Partei „SBR“

Die Wahrheit über die Zusammensetzung der Nicht-/Falschwählergruppe dürfte wohl irgendwo dazwischen liegen, wobei der Anteil der ersten Gruppe vermutlich deutlich höher ist, als der der zweiten Gruppe. Unklar bleibt jedoch weiterhin, in welchem Ausmaß. Nur zum Zweck der weiteren Exploration soll im Folgenden höchst spekulativ angenommen werden, 75 % der Nicht-/Falschwähler wollten oder könnten nicht wählen, bei 25 % dieser Gruppe stecke hingegen eine politische Absicht in der Nicht- bzw. Falschwahl. Diese 25 % werde in der folgenden Grafik der fiktiven Partei „SBR“ zugeordnet, die nun mit 6,2 % Stimmanteile (25 % aus 24,6 % ehemaliger Nicht-/Falschwähler) in die Auswertung eingeht. Insgesamt ist so der Anteil der in die Auswertung eingehenden Wählerstimmen von 75,4 % auf 81,6 % der Wahlberechtigten angestiegen. Wie man sieht, würden der Partei „SBR“ nun 46 Sitze zufallen, die Zuordnung der restlichen Sitze ändert sich dementsprechend:

Wahlergebnis der Bundestagswahl 2017. 25% der Nicht- und Falschwähler werden hier wie eine fiktive Partei "SBR" behandelt und das Wahlergebnis entsprechend korrigiert
Wahlergebnis der BT-Wahl 2017, 25% der Nicht- bzw. Falschwähler nun als fiktive Partei „SBR“ interpretiert

Dieser Sachverhalt ist nicht unbedingt trivial. Unterstellt man, dass nur jede vierte nicht korrekt abgegeben Stimme intentionale Beweggründe hat, so erhält man unter dem derzeitigen Wahlrecht bereits ein parteipolitisch relevantes Ergebnis. Diese 25% der Nicht-/Falschwähler würden die 5%-Hürde überspringen, sich selbst für den Einzug in den Bundestag qualifizieren und damit auf die bestehenden Machtverhältnisse Einfluss nehmen. In dieser Möglichkeit kann man durchaus die Forderung sehen, grundsätzlich sicherzustellen, dass diese Stimmen im Sinne der repräsentativen Demokratie parlamentarisch angemessen abgebildet werden.

AK 13.11.2022